Um sich in filmästhetischer Hinsicht mit Wiederaufbau und Sozialbau zu beschäftigen, scheint es sinnvoll das Verhältnis von Stadt und Film im Allgemeinen zu skizzieren. Florian Paalmann hat dieses Verhältnis am Beispiel Rotterdams untersucht und gezeigt, dass das Bild einer Stadt in Bezug auf modernen Städtebau (und Industrie) durch Filme geprägt und verbessert werden kann. (1)
Eröffnung einer Wohnhausanlage bezeugt städtische Erneuerung und Moderne, erklärt und promotet aber auch ebenso politische Grundsätze und Ansichten. (2)
Bezogen auf den vorliegenden Film wird so ein modernes und junges Bild der Stadt Wien repräsentiert, welches sich im Bau moderner Wohnanlagen und der Initiative der Partei wiederspiegelt. Die feierliche Eröffnung dieser Wohnhausanlagen – wie auch in dem Filmfragment gezeigt wird – soll diese Initiative feiern und den Menschen nahe bringen. Im Film soll die Feierlichkeit festgehalten und einer breiteren Öffentlichkeit in Österreich zugänglich gemacht werden. So sagt auch Tity de Vries, dass soziale Engagements mit besonderer Aufmerksamkeit auf den Wohnbau in Zusammenhang mit dem „industrial film“ ein modernes Umfeld kreieren und vergegenwärtigen können. (3)
Ebenso wie Thomas Elsaesser gilt es auch bei Florian Paalmann neben den Fragen nach dem Anlass und Adressierung von Filmen auch die Frage nach dem Auftraggeber zu beantworten. (4)
Der Film stammt aus dem Fundus der Austria Wochenschau, welche nach dem Beschluss eines Grundsatzvertag von 1949 zwischen der Bundesregierung und den Besatzungsmächten, als eigenständige, österreichische Wochenschau, gegründet wurde. Die erste Ausgabe gelangt am 11.11.1949 in die Kinos. Die durchschnittliche Länge eines fertig produzierten Beitrags betrug rund 8 bis 10 Minuten. Die Austria Wochenschau G.m.b.H. befand sich zu 52 Prozent im Besitz der Republik und zu je
24 Prozent im Besitz der (SPÖ-dominierten) KIBA bzw. der (ÖVP-dominierten) Sascha Film, wodurch eine politische Präsenz einer einzelnen Partei kaum vorhanden oder zumindest streng überwacht wurde. Das Interesse des Eigentümers, der Bundesrepublik Österreich, lag in der Vermittlung Österreich bezogener Bilder, welche die positiven Anstrengungen des Landes auf nationaler und internationaler Ebene hervorheben und der Herausbildung einer nationalen Identität dienen sollten. Dies sollte über Berichte aus den Bereichen Sport, Wirtschaft und Kultur ambitioniert werden. (5)
Demnach kann der Film Eröffnung einer Wohnhausanlage eine Produktion im Auftrag der Austria Wochenschau sein, da der Film eben jene Ambitionen repräsentiert. Es liegen keine Informationen vor, ob das Filmmaterial ausgestrahlt wurde und ob es sich um einfaches Rohmaterial oder Ausschussmaterial handelt, wobei der harte Schnitt und fehlende Ton darauf schließen lässt.
Festzuhalten ist, dass der Beauftragte/ die Beauftragte ein/e professionelle/r Filmemacher/in war, da er/sie besonders nah an die Redner auf dem Pult heran kommt, wie bspw. am over-shoulder-shot zu erkennen ist, außerdem ist er/sie befugt mit in die einzelnen Wohnungen zu gehen um dort ebenfalls zu filmen. Auch die Einstellungen und die Kameraführung sind professionell.
Alternativ könnte der Film im Auftrag der Stadt bzw. analog dazu im Auftrag der Partei gefilmt worden sein und später in den Fundus der Austria Wochenschau gelangt sein. Die Möglichkeit des Auftrages der Stadt Wien lässt sich aus der ausschließlich positive Darstellung der Politiker und den Reaktionen der Menschenmenge, sowie die Auswahl der einzelnen Einstellungen und Szenen, wie z.B. die Untersicht auf das Gesteck und dem Wappen des roten Wien (0:00-0:03), des Parteilogos mit Portrait Franz Jonas‘ (5:12-5:15) und den Interaktionen mit den Menschen, schließen.
Auffallend ist die Inszenierung des Politischen im Film, welche sich in konformen Verhaltensmustern äußert. Die Regierung galt besonders in Bezug auf den Wiederaufbau als Hoffnungsträger. Es ging darum Autorität und Macht in der Person von Franz Jonas zu repräsentieren, aber auch im die Einbettung der Politik im privaten, alltäglichen Leben der Bürger/innen und deren Identifikation mit politischen Ansichten. Politiker nehmen an wichtigen Ereignissen und am Leben der Bürger/innen teil. Dies wird an den Szenen in den einzelnen Wohnungen der Bürger/innen deutlich (4:13-4:33; 5:15-5:37).
Die gesellschaftliche Sphärentrennung von öffentlichem und privatem Raum findet durch die repräsentative Inszenierung eine Brüchigkeit, die durch den Film bezeugt und manifestiert wird; jedoch scheint der feierlichen Eröffnung, also dem Event an sich, schon die Funktion dieser Sphärenaufhebung eingeschrieben, um das lokale wie nationale Kollektivgefühl (insbesondere als Phänomen in der Nachkriegszeit) zu bestärken. Die politischen Akteure auf der einen Seite und die BürgerInnen im Privaten auf der anderen, begegnen sich in dem von Applaus, Blumen, Fahnen und Händeschütteln getränkten Eröffnungsfests, um die Zukunft Wiens bzw. den Wiederaufbau zu besiegeln.
Eine Fokussierung des Films liegt auf Kindern und Jugendlichen und der Inszenierung eines jungen, modernen Wiens, welches die Bemühungen der Partei in der Förderung von Bildung, Schule und Erziehung verdeutlichen soll. So werden auch ein Kinderchor (0:21 -0:31) und ein Jugend-Sportverein (2:16) gefilmt, welche möglicherweise zur Eröffnung etwas präsentiert haben. Ebenfalls drückt dies eine Einheit und Zusammengehörigkeit aus.
Das Mediale wird hier zur Ästhetisierung der Politik genutzt und steht in Verbindung zu vorbestimmter zu suggerierenden Ideologien.
Dies bedeutet, dass Aufnahmen, insbesondere politscher Ereignisse, eine evozierte Lesart und damit eine evozierte Impression implizieren, gleichwohl sie aufgrund ihres dokumentarischen (bzw. find footage) Charakter eine gewisse Objektivität und Transparenz zu vermitteln vermögen. Der suggerierten Ideologie liegen Identifikationsmechanismen und -angebote zugrunde - der/die BetrachterIn absorbiert den ideologischen Effekt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Als Beispiel hierfür dient die Totale der applaudieren Menschen auf dem Balkon: durch die positive Reaktion der Menschen wird Affektion und Identifikation beim Zuschauer ausgelöst wird und es fällt leicht eine zustimmende Haltung einzunehmen.
Im Allgemeinen kann die Dramaturgie eines Films als Bedeutungsproduktion verstanden werden. Kameraführung, Perspektive, Kadrierung und Montage konstruieren in Filmen mit dokumentarischen oder politischen Charakters die Darstellung von Realität sowie den Eindruck von Authentizität. Die Montage als narratives Grundelement verstärkt die angestrebte Glaubwürdigkeit des Bedeutungszusammenhangs.
Im Folgenden sollen weitere konkrete Beispiele der Inszenierung des Politischen beschrieben werden, um auch eine gewisse Dramaturgie des Films zu verdeutlichen.
Die einführende Einstellung des Gestecks des Brustschilds des Wiener Wappens, eingerahmt von den Worten "HOCH DAS ROTE WIEN" (0:00-0:03), soll in die Thematik der Stadt und der Partei einleiten. Die Untersicht, aus welcher die Einstellung gefilmt ist, suggeriert eine positive Bewertung Wiens bezüglich seiner Aktivität und Potentialität. Das Rote Wien soll als mächtige wahrgenommen werden, die Macht von ArbeiterInnen und Proletariat soll präsentiert werden. Ebenso wirkt die Einstellung des Banners mit dem Symbol der „Drei Pfeile“ und dem Portrait von Franz Jones umrandet von einem Herzen. Hier stellt sich auch die Attraktivität des Politikers dar. Die Verehrung eines Politikers zur damaligen Zeit entspricht, so könnte man annehmen, in etwa dem Starsystem, welches heute bei Filmschauspieler/innen und Sänger/innen vorherrscht.
Der Establishing-shot etabliert die Situation und die Umgebung und präsentiert gleichzeitig das Haus in Analogie zum Wiederaufbau. Die Feierlichkeit wird durch Dekoration des Hauses betont und die Inszenierung durch den Banner, vermutlich in den Farben Wiens, führt wieder zu der Sicht eines modernen, jungen Wiens (01:07; 01:47; 02:28). Dabei scheint es aber unwichtig zu sein, um welche Wohnhausanlage sich im spezifischen handelt, da diese Eröffnungen im feierlichen Stil für die damalige Zeit auszeichnend und nicht unüblich waren. Es repräsentiert den Beginn eines neuen im Allgemeinen für die WienerInnen im Besonderen und ÖsterreicherInnen im Allgemeinen. Die leichte Untersicht auf Franz Jonas am Rednerpult exponiert die wichtige Stellung Jonas, sowie seiner Autorität.
Die vertikale Abfilmung des Hauses im Hintergrund soll die Erhabenheit dieses Hauses veranschaulichen.
Der Film folgt grundsätzlich einer linearen Narration, die sich nach Darstellungskonventionen gestaltet. Erkenntlich wird dies beispielsweise an der Gestaltung der Zwischenschnitte: Haus, Rede und applaudierenden Menschen. Die Montage zwischen den Einstellungen der Redner und der Gruppe der Politiker, welche wiederum in der Masse des Publikums stehen, suggeriert Nähe zwischen dem Redner und der Masse und somit ein Einverständnis zwischen Politiker und BürgerInnen. Auch der Over-shoulder-shot impliziert diese Nähe (01:32; 03:23; 04:33; 04:41).
In einigen Sequenzen bilden Kadrierung und Montage mögliche ideologievermittelnde Elemente: auf die Totale folgt häufig eine Halbtotale als Unterstreichung von Affektion.
Neben der stark heroisierten Darstellung von Jonas und feierlichen Atmosphäre, gibt es aber auch Brüche in der Inszenierung.
Generell wird der Bruch deutlich dadurch, dass sich die ZuschauerInnen der Anwesenheit der Kamera ständig bewusst sind, so suchen ihre Blicke und gerade die Blicke der Kinder immer wieder die Kamera.
Besonders wird dieser Bruch in der Szene der Interaktion zwischen Jonas und des jungendlichen Mädchens deutlich (03:38-04:13). Auch das Mädchen ist sich der Anwesenheit der Kamera bewusst und ist dadurch unter dem Druck sich der Situation entsprechend zu verhalten. Dies löst jedoch Unsicherheit und Verlegenheit aus. Sie ist sich nicht sicher wie sie sich gegenüber der Kamera und dem Politiker verhalten soll. So deutet sie zum Beispiel einen Knicks an, scheint aber nicht sicher zu sein, ob sie ihn zu Ende führen soll und brich in letztlich ab. Ebenfalls streicht sie sich schüchtern die Haare aus dem Gesicht. Das Mädchen strahlt Natürlichkeit aus. Dieser Bruch mit der Inszenierung zeugt aber wiederum von einer Authentizität und Glaubwürdigkeit der Situation.
Ein weiteres Beispiel ist der leere Raum als Schlusssequenz (05:37). Zum einen gibt diese Szene dem Film einen gewissen Abschluss, wirkt im Gegensatz zum Rest des Filmes aber sehr einsam und traurig.
Diese Inszenierungsbrüche lassen sich mithilfe von Roland Barthes Definition des punctums beschreiben. Wörtlich bedeutet es Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt und auch Wurf der Würfel. Es meint einen Aspekt in der Photographie, der als empfindliche Stelle bezeichnet werden kann und über den Informationsgehalt, welchen Barthes als studium bezeichnet, hinauswächst und reizvoll wirkt. Das punctum einer Photographie ist jenes Zufällige an ihr, das bestimmt, aber auch verwundet und trifft. (6)
Barthes beschreibt zwei Formen des punctum:
Das punctum der Form ist ein „Detail“, das heißt ein Teil des Abgebildeten. Beispiele für das punctum anzuführen bedeutet daher in gewisser Weise, sich freizugeben. Im/in der BetrachterIn wird bspw. Wohlwollen und/oder eine emotionale Rührung geweckt. (7)
Die zweite Form ist das punctum der Dichte, welche die erschütternde Phase des Noemas („Es-ist-so-gewesen“) entspricht. Es hat den Anspruch der reinen Abbildung, als sei das Bild ein Zeitzeuge einer stark politisch geprägten Zeit. Es beinhaltet die Reproduktion der vergangenen Realität in die Gegenwart als berührendes Moment. Das punctum der Dichte ist dem Druck der „Realität“ ausgesetzt und nicht mehr durch die Erarbeitung eines fiktionalen oder poetischen Textes vermittelt, der als solcher niemals bis ins letzte glaubhaft ist. (8)
Diesen Anspruch hat der gesamte Film. Er will als objektive Aufnahme einer zeitgenössischen Feierlichkeit dienen. Er soll die Politiker darstellen, wie sie gewesen sind. Diesem Anspruch kann er durch seinen inszenatorischen Charakter nicht gerecht werden.
(1) Paalman, Floris, „Harbor, Architecture, Film. Rotterdam, 1925-1935”, in: Hediger, Verzenz und Vonderau, Patrick (Hg.) Film that work. Industrial Film and the Productivity of Media, Amsterdam: Amsterdam University Press 2009, S. 391-404, hier: S. 394.
(2) Vgl. Tity de Vries „Cinematic Rotterdam. The Times and Tides of a Modern City “, in Historical Journal of Film, Radio and Television, 2012, 32:4, S. 644-646, hier: S. 645.
(3) Vgl. ebd., S. 645.
(4) Vgl. Paalman, Floris, „Harbor, Architecture, Film. Rotterdam, 1925-1935”, in: Hediger, Verzenz und Vonderau, Patrick (Hg.) Film that work. Industrial Film and the Productivity of Media, Amsterdam: Amsterdam University Press 2009, S. 391-404, hier: S. 392.
(5) Vgl. http://filmarchiv.at/show_content2.php?s2id=3, Zugriff: 26.05.2013.
(6) Vgl. Barthes, Roland, Die helle Kammer. Bermerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980, S.35f.
(7) Vgl. ebd., S.53ff.
(8) Vgl. ebd., S.105f.
Literatur:
Barberi, Alessandro, „Die drei Pfeile“, Rotbewegt.at, o.J., rotbewegt.at/#/epoche/einst-j etzt/artikel/die-drei-pfeile, Zugriff: 25.05.2013.
Barthes, Roland, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980.
Bramhas, Erich, Der Wiener Gemeindebau. Vom Karl-Marx-Hof zum Hundertwasserhaus, Basel: Birkhäuser Verlag 1987.
Corazza, Elisabeth / Beate Lang / Frank M. Weber, Mosaike an Wiener Gemeindebauten. Kunst am Bau im Wien der Nachkriegszeit, Wien: Edition Volkshochschule 2009.
Eigner, Peter / Herbert Matis / Andreas Resch, „Sozialer Wohnbau in Wien. Eine Bestandsaufnahme“, in: Jahrbuch des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien
1999, Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1999, 49-100, hier: www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/matis_wohnbau.pdf, Zugriff 21.05.2013.
Frei, Alfred Georg, Die Arbeiterbewegung und die 'Graswurzeln' am Beispiel der Wiener Wohnungspolitik 1919 – 1934, Hg. Anton Pelinka / Helmut Reinalter, Wien: Braumüller 1991.
Nittel, Heinz (Hg.), SPÖ Wien 1945-1975. Programme – Daten – Fakten, Wien: SPÖ Wien, 1978.
O.N., „Biografie von Franz Jonas“, parlament.gv.at, 02.01.1990, www.parlament.gv.at/WWER/PAD_00737/, Zugriff: 26.05.2013.
O.N., „Drei Pfeile im roten Ring“, Arbeiter-Zeitung Nr. 35, 15.09.1945.
O.N., „Koci, Franz“, Weblexikon der Wiener Sozialdemokraten, 2005, www.dasrotewien.at/koci-franz.html, Zugriff: 26.05.2013.
O.N., „Resch, Johann“, Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, 2005, www.dasrotewien.at/resch-johann.html, Zugriff: 26.05.2013.
O.N., „Thaller, Leopold“, Weblexikon der Wiener Sozialdemokraten, www.dasrotewien.at/thaller-leopold.html, 2005, Zugriff: 26.05.2013.
Paalman, Floris, „Harbor, Architecture, Film. Rotterdam, 1925-1935”, in: Film that work. Industrial Film and the Productivity of Media, Hg. Verzenz Hediger / Patrick Vonderau, Amsterdam: Amsterdam University Press 2009.
Vries, Tity de „Cinematic Rotterdam. The Times and Tides of a Modern City“, in: Historical Journal of Film, Radio and Television, 2012, 32:4, S. 644-646.
Allgemeine Internetquellen:
www.dasrotewien.at/weblexikon.html
www.wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/geschichte.html
(Vielen Dank an Sandra Ladwig, Cathrin Landgraf, Maria Macic und Johannes Schachinger für die Bearbeitung dieses Filmdokuments!)
weniger anzeigen