Die vorliegenden Filmfragmente wurden 1984, von einem ehemaligen Mitarbeiter[1] der Wiener Molkerei, dem Archiv des Filmmuseums übergeben. Die Aufnahmen selbst können in drei grobe Blöcke unterteilt werden: In den Eingangssequenzen werden die verschiedenen Produktionsschritte, welche in der Fabrik selbst vonstattengehen, gezeigt. Zahlreiche Einstellungen führen dem Betrachter/der Betrachterin die moderne Ausstattung und vielfältigen Arbeits- und Produktionsvorgänge vor Augen.
Der zweite Teil des Kompilationsfilmes besteht aus Aufnahmen, die sich insofern stark von den vorhergegangen abheben, als dass plötzlich zahlreiche, festlich gekleidete Personen gefilmt werden, die teilweise auch Ansprachen halten, und die in keiner engeren Beziehung mit der Wiener Molkerei zu stehen scheinen. Im Laufe der näheren Analyse und Recherche konnte jedoch festgestellt werden, dass die Filmaufnahmen im Zuge der Ausstellung „Wien und die Wiener“, die von Mai bis Juni 1927 im damaligen Messepalast (heutiges Museumsquartier) stattfand, angefertigt wurden. Im Zuge dieser Ausstellung präsentierte sich auch die Wiener Molkerei, die zu diesem Zweck temporär ein Café auf dem Gelände des Messepalastes betreute.
Die zuletzt zu sehenden Aufnahmen widmen sich vor allem der exklusiven Außenstelle der Wiener Molkerei, dem Kaiserschlössl in Bad Ischl. Dort hatte die Wiener Molkerei ein Kaffee- und Kurhaus eingerichtet.
Der Film selbst besteht also aus verschiedensten Aufnahmen, deren Aneinanderreihung keiner erkennbaren Narration folgt. Außerdem sind die Aufnahmen über einen längeren Zeitraum hinweg gesammelt worden. So lassen sich die Aufnahmen von der Ausstellung „Wien und die Wiener“, dank der gezeigten Prominenz, eindeutig datieren (2. Juli 1927). Die anfängliche Einstellung, die dem Fabriksteil vorgestellt wurde, zeigt allerdings das Hochhaus in der Herrengasse (auf dessen Bedeutung im Folgenden noch eingegangen wird), welches erst 1932 fertiggestellt wurde, so dass diese Aufnahmen keinesfalls davor aufgezeichnet werden konnten.
Eine Datierung der übrigen Szenen ist ob fehlender Anhaltspunkte kaum möglich. Das verwendete Schriftbild und das allgemeine Erscheinungsbild der Fabrik-Szenen legen die Vermutung nahe, dass diese weiter zurück liegen als 1927. Der Filmabschnitt der Bad Ischl behandelt ist ebenfalls nicht näher datierbar.
Weiter ist nicht eruierbar, zu welchem Zweck diese Schnittfassung angefertigt wurde, wobei allerdings deutlich das (gewünschte) Firmenimage aus der Kompilation spricht. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Film oder einzelne der hier zusammengeführten Fragmente (im Zuge von Betriebsführungen etwa) zu Werbezwecken eingesetzt wurde, beziehungsweise hätte werden sollen.
Franz Geissler versuchte diese Filmfragmente alternativ zusammen zu stellen, jedoch ist diese längere Zeit im Internet präsentierte Fassung nicht mehr auffindbar.
Ästhetik des Films der Wiener Molkerei
Die Ästhetik des Films (ca. 1927-1932) der Wiener Molkerei (gegründet 1880, übernommen von der Niederösterreichischen Milch 1992) verläuft konform mit den frühen Imagefilmen von industriellen Unternehmen. In diesen Gebrauchsfilmen geht es hauptsächlich darum ein Unternehmen umfassend nach außen hin zu repräsentieren. Ein besonderes Augenmerk wird bei solchen frühen Industrie- bzw. Imagefilmen auf die Arbeits- und Produktionsprozesse in der Fabrik gelegt, aber auch auf den Transport und den Konsum der Produkte.[2] In diesem Zusammenhang sind industrielle Modernisierung, technische Innovationen und Rationalisierung, aber auch Qualität, wichtige Themen. Imagefilme dienen als Prestigeobjekt für ein Unternehmen und der Einsatz des innovativen Mediums Film sowie dessen fortschrittliche Technik unterstreichen das angestrebte moderne Image eines Unternehmens zusätzlich.[3] Im Kompilationsfilm „Alte WIMO“ wird denn auch der Präsentation fordistischer Arbeitsabläufe (converter belts u.a. automatisierte Produktionsschritte) entsprechend Raum gegeben. Technische Innovationen, maschinelle Verarbeitung und rationalisierte Produktionsabläufe in der Fabrik stehen hier im Vordergrund.
Der Film ist jedoch auch Ausdruck des Versuchs des Unternehmens, gewisse Vorurteile der Konsumenten gegenüber Maschinenmolkereien abzubauen, denen sogar nachgesagt wurde, sie würden die Milch künstlich erzeugen.[4] Insofern hatten die Filmaufnahmen auch die Aufgabe, die Konsumenten auf evidente Weise über die Produktionsverhältnisse und -prozesse umfassend aufzuklären.
Der Modernitäts- und Fortschrittsanspruch des Betriebes zeigt sich schon zu Beginn des Filmes mit der Wahl eines Symbols des Fortschritts in Wien und kann als Bekenntnis zur modernen Stadt gesehen werden – das Hochhaus in der Herrengasse. (Sequenz 1) Das Hochhaus in der Herrengasse im ersten Wiener Gemeindebezirk wurde 1932 fertiggestellt und die Wiener Molkerei war eine der ersten Mieter mit einer Verkaufsstelle für ihre Molkerei-Produkte.[5]
Die Wahl der Aufnahmen des Hochhauses als Eingangssequenz spiegelt deutlich die Amerikafaszination bzw. den „Amerikanismus“ der späten 1920er Jahre wider, denn Amerika galt als Land des Wohlstands, Fortschritts und der Freiheit. Deswegen kam es in dieser Zeit auch zu einem Import verschiedener Kulturgüter und - wenn auch nur als Ausnahme – zur Übernahme der Hochhausarchitektur.[6] Auch an anderer Stelle wird die Signifikanz von Modernität=Amerikanismus deutlich: ein eingeblendeter Schriftzug hebt das Produkt „amerikanische Sauermilch“ hervor. (Sequenz 2: Einführung in das Fabrikgebäude der Wiener Molkerei).
„Wien und die Wiener“
Der Kompilationsfilm der alten Wiener Molkerei soll diese also als ein idealtypisches Unternehmen – in Hinsicht auf die Technisierung und generelle Modernisierung – darstellen. Aber auch die Nähe zur internationalen Prominenz und High Society kommt in den Aufnahmen nicht zu kurz. So hebt sich der zweite Teil der Montage stark von Ersterem ab, indem er eine Festivität zeigt, die keinen direkten Bezug zu den technischen und organisatorischen Fortschritten der Wiener Molkerei hat. Es werden Aufnahmen der bereits erwähnten Ausstellung „Wien und die Wiener“ gezeigt, bei welcher auch die Wiener Molkerei sich präsentierte, und welche ganz im Zeichen einer geglückten Verknüpfung von Tradition und Fortschritt stand: Wien sollte als moderne, urbane Metropole dargestellt werden, wenngleich ohne das Werk der Zerstörung des Alten. So errichtete die WIMO im Areal des Messepalastes eine Kulissenstadt des historischen Wien, mit der Rekonstruktion der sogenannte „Rumorwache“, des „Faßzieherhauses“ auf dem Spittelberg und eines Teils der alten Stadtmauer.[7] Die Filmaufnahmen geben jedoch keine Auskunft darüber, wie genau sich die Molkerei bei dieser Ausstellung präsentierte, das heißt mit welchen Mitteln sie sich vorstellte, und welche Tätigkeit sie entfaltete.
Die überlieferten Filmfragmente konzentrieren sich vielmehr auf die am 2. Juli anwesende Prominenz: Im Zuge seiner damaligen Europareise (Dreharbeiten für „Der Student von Heidelberg“) hatte der berühmte Regisseur Ernst Lubitsch, in Begleitung seiner Frau Helene Lubitsch (geb. Krauß), Wien und die genannte Ausstellung besucht (Sequenzen 11 und 12). Dort wurde er stürmisch gefeiert und es wurden wohl die von der WIMO verwendeten Szenen gefilmt.[8] Weitere im Film gezeigten und im Zuge der Filmanalyse identifizierte Gäste der Filmindustrie waren Gustav Ucicky, dessen Frau die Schauspielerin Betty Bird und Ucickys damaliger Mitarbeiter Igo Sym, ebenfalls Schauspieler (Sequenz 12). Ucicky drehte zu jenem Zeitpunkt in Wien den Film „Café Elektric“ mit Marlene Dietrich in der weiblichen Hauptrolle.
Ob es eine andere Verbindung der Wiener Molkerei zur Filmindustrie gab als die Bewirtung der Filmprominenz in einem temporär geführten Altwiener Café, ist fraglich. Vielmehr muss man den Besuch Lubitschs als glücklichen Zufall werten, den die Wiener Molkerei für die eigene Öffentlichkeitsarbeit nutzte. Doch um auf die Ausstellung zurückzukehren: Auch im Ausstellungskatalog finden sich keine Hinweise auf die Präsentation der Wiener Molkerei. Es darf angenommen werden, dass sie auf die fortschrittliche, technische Ausstattung und modernen Arbeitsvorgänge hinwies, ganz im Sinne der Ausstellung und des vorherrschenden Glaubens an den technischen Fortschritt:
„Im ewigen Wandel zwischen Werden und Vergehen in der Natur bleibt der stete Fortschritt der Technik bestehen, da er getragen wird von den Siegen über die Naturkräfte, die nie rückgängig gemacht, sondern nur nach vorwärts ausgebildet werden können. Das technische Wien hat einen tüchtigen Anteil daran!“[9]
Ein Höhepunkt der Ausstellung war dementsprechend das exklusiv für die Veranstaltung im Messepalast aufgebaute Zeiss Planetarium, auf das eine Einstellung des Films prominent hinweist.
Wenn im Kompilationsfilm nichts Näheres zur Darbietung der Wiener Molkerei selbst in Erfahrung zu bringen ist so ist doch festzuhalten, dass Milch und Milchprodukte unter technisch-hygienischem Aspekt in der Ausstellung markant vertreten waren. Im Umwege über die Präsentation der Lebensmittelpolizei bestätigte sich in jedem Falle eine der Grundaussagen der WIMO-Firmenwerbung, nämlich die Beachtung hoher Sicherheitsstandards. Hier wird im Ausstellungskatalog erwähnt wie bedeutend Milch als Nahrungsmittel war – und demnach auch deren sanitätspolizeiliche Überwachung. Es ist von einer besonders gründlichen Kontrolle des Milchverkehrs die Rede – „zum Schutze der Bevölkerung“.[10]
Die Reinheit der Milch, das heißt das Verhindern von gesundheitsschädlicher Verfälschung und sorgsame Beachtung, war schon im Artikel Dr. Willibald Winklers als großer Vorzug der aufkommenden Industrie angesprochen worden. Winkler, Professor für Molkereiwesen an der Hochschule für Bodenkultur, hatte bereits 1903 einen ausführlichen Beitrag über die Wiener Molkerei („Das neue Etablissement der Wiener Molkerei“) verfasst, der als Beilage zur Jubiläumsfestzeitung der Wiener Zeitung am 8. August erschienen ist. Dieser Artikel hatte auch 20 Jahre später seine Aktualität nicht eingebüßt: Eine Werbebroschüre der „Wiener Molkerei“ aus dem Jahre 1926 machte in ausgiebigen Zitaten davon Gebrauch.[11]
Es überrascht also nicht, dass die Wiener Molkerei im Zuge des Imagefilms versucht hat ihre Bemühungen bezüglich der hygienischen Arbeitsbedingungen und Reinheit der Produkte zu tradieren (siehe Kapitel „Hygienische Aspekte“). Als ihren „obersten Grundsatz“ stellte die WIMO heraus „nur gesunde, gänzlich unverfälschte Milch- und Molkereiprodukte zum Verkaufe zu bringen.“[12] Die auffälligen weißen (klinischen) Arbeitskittel unterstrichen dieses Argument visuell. Es wird in einer anderen, kurzen, grotesken und narrativen Sequenz dahingehend überboten, dass eine Flasche weiß leuchtender Milch gar „schwerstarbeitenden“ Männern wieder Kraft (Sequenz 6: Milch für Männer – Arbeiter trinken in der Pause Milch).
Organisation, technische Ausstattung, Soziales
Wie erwähnt wurde also bereits im Jahr 1903 ein umfassendes Porträt der Wiener Molkerei in der „Wiener Zeitung“ vorgestellt und diese vor allem als fortschrittlicher Vorzeigebetrieb für die städtische Milchproduktion gerühmt. Grund für diesen Beitrag war vor allem das neu errichtete und 1902 fertiggestellte und Mitte der 1920er Jahre modernisierte Molkereigebäude der größten Molkereigenossenschaft Österreichs, der Wiener Molkerei, im 2. Wiener Gemeindebezirk.[13]
Die Wiener Molkerei wurde 1880 als Genossenschaft mit beschränkter Haftung gegründet und folgte damit dem Beispiel der Brünner und Grazer Molkerei. Im Jahr 1903 zählte die Genossenschaft 63 Mitglieder, die von 126 Höfen Milch und andere Milcherzeugnisse, wie zum Beispiel Butter oder Rahm, bezogen und an die Molkerei lieferten. Die Genossenschaftsmitglieder waren ausschließlich Großgrundbesitzer aus dem Raum Niederösterreich, Oberösterreichs und Teilen Mährens.[14]
Das Fabrikgebäude umfasste ein Gelände im Ausmaß von 10.000 m² und das Unternehmen zählte im Jahr 1903 800 Personen sowie 72 Milchwagen und 116 Pferde zur Auslieferung der Produkte. Für den Verkauf der Produkte sind der Molkerei 122 Filialen zur Verfügung gestanden, die sich nicht nur auf den Raum Wien beschränkten, sondern auch in anderen österreichische Orten, wie zum Beispiel Purkersdorf, Mödling, Hinterbrühl und Bad Ischl, eingerichtet wurden.[15] Dem letzten Standort, Bad Ischl, wird in dem Kompilationsfilm der Wiener Molkerei im dritten und letzten Teil besondere Aufmerksamkeit gewidmet – dem Zuschauer werden die Räumlichkeiten und die nähere Umgebung dieser Verkaufsstelle vorgestellt.
Als ein offensichtlich progressives Unternehmen waren soziale Leistungen und die Versorgung der ArbeiterInnen ebenfalls in größerem Ausmaß vorhanden und geregelt. Für die Angestellten sind Schlafsäle, eine eigene Badeanstalt mit Wannen- und Brausebäder, Garderoben, Rauch- und Unterhaltungszimmer, Wärmeküchen und eine Kantine mit von der Direktion geregelten Preisen zur Verfügung gestanden. Geplant war zu Geplant war zu dieser Zeit auch der Bau eines Arbeiterwohnheimes und einen Zubau für Beamtenwohnungen. Die Existenz der ArbeiterInnen wurde mittels einer Unfall- und Krankenversicherung geregelt.[16]
Im ersten Teil des Kompilationsfilmes wurden die Gänge der Betriebswohnungen und eine strickende Frau, die am Gang sitzt, gezeigt. Durch diese Szene sollte vermutlich die familiäre und fürsorgliche Atmosphäre des Betriebes visuell betont werden. (Sequenz 3: Betriebswohnungen bzw. Kanzleitrakt). Durch diese Sozialleistungen und der für ihre Zeit vorbildlichen betrieblichen Vorsorgeregelungen für die Belegschaft wird die Corporate Identity der Wiener Molkerei als fortschrittliches Unternehmen zusätzlich gestärkt.
Die visuelle Präsentation der technischen Gegebenheiten und Produktionsschritt in dem Kompilationsfilm konnten mit Hilfe des Artikels von Winkler und der WIMO-Broschüre aus 1926 näher bestimmt und analysiert werden, denn v.a. Winkler rühmte in seinem Beitrag die technischen Innovationen und ging dabei auch auf die maschinelle Ausstattung des Betriebes im Jahr 1903 ein: Die Maschinenanlage stammte von der Firma „Skodawerke“ in Pilsen und die Molkereieinrichtung von der Aktiengesellschaft „Alfa Seperator“ in Wien. Im Maschinenraum waren eine Kompoundmaschine mit 140 Pferdestärken und eine Reservemaschine mit 80 Pferdestärken vorhanden.[17]
Weitere maschinelle Anlagen waren zwei Kompressoren für die Kühlanlagen sowie zwei Dynamos für die elektrische Beleuchtung und die Elektromotoren. Die Kühlanlage diente neben der Kühlung der Räume und dem Milchkühler auch zur Eiserzeugung. Der Eisgenerator, der Kondensator der Kühlanlage, der Süßwasserrefrigerator, die Wasserreinigung für die Dampfkessel und die Pumpanlage waren in zwei eigenen Räumen untergebracht, die an den Maschinenraum angegliedert waren.[18]
Von der Laderampe aus wurde die Milch zum größten Teil der Milchtribüne zugeführt. Dort durchlief die Milch die Kiesfilter und wurde schließlich über zwei Kühlapparate geleitet, die die Temperatur der Milch auf 3-4 °C abkühlte. Die Kühlräume spielten bei städtischen Molkereien eine sehr wichtige Rolle, da hier die überschüssige Milch mehrere Tage aufbewahrt werden konnte. Die Kühlräume wurden durch große zylindrische Salzwasserreservoirs, die an der Decke befestigt waren, auf einer Temperatur von 4-7 °C gehalten.[19] Ab ca. 1925 erfolgte die Reinigung in Reinigungszentrifugen mit einer Stundenleistung von 6000 Liter, wie die Werbebroschüre aus 1926 stolz festhielt. Zu den Investitionen dieser Zeit zählte auch die Aufstellung einer hochmodernen Flaschenwaschmaschine.
Danach wurde die Milch den Kannen- und Flaschenfüllstationen zugeführt. Ein kleinerer Teil der angelieferten Milch wurde zu der Zentrifugenanlage weitergeleitet.[20]
Die Flaschenabfüllung befand sich im vorderen Teil der Milchhalle. Der Milchverkauf in plombierten Flaschen war für den Wiener Milchhandel charakteristisch und die Wiener Molkerei hatte zu dieser Zeit den größten Flaschenmilchvertrieb der Welt – pro Nacht wurden ca. 34.000 Flaschen befüllt und zwar sowohl 1-, ½- als auch ¼ Literflaschen. (In den 1920er Jahren lieferte die WIMO dann 70.000 Flaschen aus und offerierte auch Hauszustellung.) Schließlich wurden die Flaschen mit dünnen Blechstreifen, der um die Bügeldrähte mittels einer Maschine genietet und perforiert wurde, plombiert, um für unveränderte und gehaltvolle Milch garantieren zu können.[21]
Die Produkte der Molkerei waren neben der Milch auch unterschiedliche Buttersorten, Topfen, Laibkäse und Molke, die an Bäcker zur Molkenbrotzubereitung weitergeleitet wurde.[22] Besondere Betonung wurde auf die Marke „Dr. Axelrod´s Yoghurt“ gelegt, das - zur Unterstützung des Verdauungsprozesses - mit „dem echten original-bulgarischen Ferment Maya-bulgaris“[23] hergestellt wurde.
Hygienische Aspekte
Doch nicht nur die technische Ausstattung und die Versorgung der ArbeiterInnen werden im Artikel von Winkler gerühmt, sondern auch die hygienischen beziehungsweise gesundheitlichen Bedingungen des Unternehmens. Die Milch wurde im sogenannten Laboratorium nicht nur auf ihr Gewicht, den Fettgehalt und Säuregrad untersucht, sondern auch auf ihre bakterielle Beschaffenheit und vor allem auf den Schmutzgehalt geprüft. Im Artikel wird weiter darauf hingewiesen, dass bei der Kindermilchproduktion besonders strenge Maßnahmen galten und hier bereits auf den Höfen, von welchen die Milch bezogen wurde, äußerste Vorsicht herrschte: die Fütterung der Tiere wurde überwacht, ebenso wie ihr allgemeiner gesundheitlicher Zustand durch ständige tierärztliche Kontrolle.[24] Auch erwähnte Winkler, dass bereits allgemein vor der Zulieferung der Milch deren „Reinheit“ genau beobachtet und kontrolliert wurde, was in speziellen Verträgen mit den Zulieferern festgelegt war.[25]
Die Reinheit der Milch war also ein besonderes Anliegen. Alleine die Häufigkeit der Bezeichnung „rein“ zeugt von der Bedeutung der Vermeidung gesundheitsschädlicher Produkte.
In der Hausordnung der Wiener Molkerei wurde außerdem festgehalten, dass die ArbeiterInnen sich ständiger medizinischer Kontrollen zu unterziehen hatten. Winkler spricht hier von einer „außerordentlich wichtige[n] Maßregel.“ Weiter erwähnt er, dass die Wiener Molkerei im Fall einer Erkrankung ihren ArbeiterInnen – auf kurze Dauer – ihr Gehalt weiter bezahlten, damit diese sich nicht genötigt sahen in erkranktem Zustand mit den Milchprodukten in Berührung zu kommen. Das heißt eine Art „Krankenstand“ war hier bereits vorgesehen, um möglichst zu vermeiden, krankheitserregende Milch zu produzieren.[26] Dementsprechend war es den ArbeiterInnen selbstverständlich verboten in der Milchabfertigungshalle zu essen, zu trinken oder zu rauchen. Außerdem war man darauf bedacht, dass die jeweilige Arbeitskleidung dem Gebot von Reinheit und Hygiene entsprach.[27] Die Garderoben der ArbeiterInnen waren außerdem mit Waschvorrichtungen ausgestattet.[28]
Die Ängste, die hinter diesen Maßnahmen steckten, bezogen sich vor allem auf die Ansteckung mit Tuberkulose. KonsumentInnen konnten durch den Verzehr von nicht-pasteurisierter Milch mit Tuberkuloseerregern angesteckt werden. Die Gesundheit der Kinder war diesbezüglich selbstverständlich ein vielbeachtetes Thema. So wurde in der Wiener Molkerei denn auch die Säuglingsmilch bereits vor 1910 pasteurisiert verkauft, um sowohl Keimbildung zu vermindern als auch die Haltbarkeit der Milch zu verlängern. (Die Dauerpasteurisierung sämtlicher Milch erfolgte ab ca. 1925[29]). Die restliche Milch wurde wie bereits beschrieben mit Hilfe eines Systems von Kiesfiltern gereinigt. [30]
In den europäischen Städten war Tuberkulose beziehungsweise „Schwindsucht“ ab dem 18. bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein die Volkskrankheit Nummer Eins. Die wachsende Bevölkerungsdichte in Verbindung mit den schlechten hygienischen Bedingungen bildete den idealen Nährboden für die Krankheit.
Robert Koch (*1843 in Clausthal,
1910 in Baden-Baden), der als Entdecker des Tuberkulose-Erregers gilt, wurde 1905 für seine Forschungen über Tuberkulose mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Er gilt neben dem Erfinder der Pasteurisierung Louis Pasteur als der „Vater der Bakteriologie“. Das von Koch entwickelte erste Heilmittel „Tuberkulin“ war als solches zwar wirkungslos, allerdings diente es sehr wohl der Diagnostizierung der Krankheit.[31] Da es also noch keine wirksame medizinische Behandlung gab, stand bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem das Verringern der Ansteckungsgefahren, wie eben auch die Reinheit der Milch, im Vordergrund der Bemühungen.
Weitere „hygienische Beeinträchtigung“ der Milch, wie zum Beispiel durch lange Zulieferwege, war bereits im 17. und 18. Jahrhundert ein bekanntes Problem in Wien.[32] Hier hat man versucht mit Hilfe von möglichst kurzen Transportzeiten und ständiger Kühlung die Milch möglichst lange frisch zu halten.
Ebenso bedenklich war das Strecken der Milch mit Wasser, die Zugabe von Mehl zu Obers, oder die Zugabe von Eiklar.[33] Dies stellte vor allem ein Problem dar, weil zum Beispiel durch das „Verwässern“ zusätzlich verschmutztes Wasser konsumiert wurde, was das Gesundheitsrisiko weiter steigerte.
Es ist insofern verständlich, warum die Wiener Molkerei versuchte möglichen Vorurteilen und Ängsten entgegenzuwirken und sich auch mit Hilfe des Films ein Image als in jeder Hinsicht „sauberes Unternehmen“ aufzubauen. Hierzu bediente man sich auch assoziativer Mittel, wie etwa dem Bild eines Wasserfalles und eines sprudelnden Wildbaches (Sequenz 8: Milchbeschaffung – Waldgebiet mit Wanderer und Milchkanne) aus den Weidegebieten[34] der Milchlieferanten. Damit wurde die ursprüngliche Reinheit der Milch – die somit garantiert nicht-verschmutzt bei der Wiener Molkerei ankommt – suggeriert. Auch die letzten Szenen in Bad Ischl betonen die gesunde Frische der Milch der WIMO, die immerhin ein Hauptbestandteil der Kur im Kurhaus war. (Alexandra Florianz/ Gabriele Hackl)
[1] Herr Ing. Franz Geissler, 12 Jahre lang technischer Leiter bei der Wiener Molkerei, siehe http://www.euro-concept.at/ueber-uns/7/team, 19. Juli 2012.
[2] Hediger, Vinzenz/ Vonderau, Patrick (Hsg.): Films That Work: Industrial Film and the Productivity of Media, Amsterdam Universitiy Press, Amsterdam 2009, S. 105-108.
[3] Hediger/Vonderau: S. 113.
[4] Winkler, Willibald: Das neue Etablissement der Wiener Molkerei, In: Jubiläums Festzeitung der kaiserlichen Wiener Zeitung vom 8. August 1903, Wien 1903, S. 25.
[5] Wien Museum: Wiens erstes Hochhaus, http://www.wienmuseum.at/fileadmin/psd-files/0900301_ausstellungsseiten/Wiens_erstes_Hochhaus.pdf (Eingesehen: 07.05.2012).
[6] Holzer, Anton: Wolkenkratzer und die Tillergirls, In: Wiener Zeitung, 26.08.2011, http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wzwissen/geschichte/392008_Wolkenkratzer-und-Tiller-Girls.html (Eingesehen: 20.07.2012).
[7] Vgl. dazu die eigens aufgelegte Broschüre Historische Legenden über die von der Wiener Molkerei (...) in der Ausstellung „Wien und die Wiener“ (Mai – Juni 1927, Messepalast) nachgebildeten Bauten von Adolf Amon, Wien o.J. (1927)
[8] „Die Neue Zeitung“ vom 3. Juli 1927, S. 2: „Ernst Lubitsch in der Ausstellung „Wien und die Wiener“.Im Rahmen einer Altwiener Taufe im Altwiener Kaffeehaus der Ausstellung „Wien und die Wiener“ wurde gestern der amerikanische Meisterregisseur Ernst Lubitsch und seine Gattin stürmisch gefeiert. Es waren Vertreter der Behörden, für die Gemeinde Wien Sektionschef a. T. Vetter, nahezu sämtliche führenden Persönlichkeiten der Filmindustrie, zahlreiche prominente Filmdarsteller, Direktor Max Neufeld, Edthofer, Igo Sym, ferner Renate Renee, Felizitas Berger, Mizzi Griebel und viele andere erschienen. […] Lubitsch wurde um Autogramme bestürmt; auch zahlreiche Filmaufnahmen wurden durchgeführt.“
[9] „Wien und die Wiener“ Ausstellungskatalog zur Ausstellung im Messepalast Mai-Juni 1927, Druckerei Gerin, Wien 1927, S. 132.
[10] „Wien und die Wiener“ Ausstellungskatalog, S. 160f.
[11] Wiener Molkerei, Wien 0.J. (1926)
[12] Wiener Molkerei, S. 7
[13] Winkler, S. 21-23.
[14] Winkler: S. 25.
[15] Winkler: S. 21, 25.
[16] Winkler: S. 21.
[17] Winkler: S. 25.
[18] ebd.
[19] Winkler: S 21, 23.
[20] Winkler: S. 21.
[21] Winkler: S. 21f.
[22] Winkler: S. 23.
[23] Wiener Molkerei, S. 20
[24] Winkler: S. 24.
[25] Winkler: S. 25.
[26] Winkler: S. 21.
[27] Winkler: S. 22.
[28] Winkler: S. 25.
[29] Wiener Molkerei, S. 9
[30] Dimitz, Erich: Die Milchmädchen am Naschmarkt, 2011, S 1f.: http://www.bezirksmuseum.at/default/fileadmin/user_upload/Bezirke/Bezirk-06/Milchmaedchen_-_Text.pdf, (Eingesehen am: 20 Juli 2012).
[31] http://www.rki.de/DE/Content/Institut/Geschichte/robert_koch_node.html (Eingesehen am: 20 Juli 2012).
[32] Dimitz, Erich: Die Milchmädchen am Naschmarkt, 2011, S 2: http://www.bezirksmuseum.at/default/fileadmin/user_upload/Bezirke/Bezirk-06/Milchmaedchen_-_Text.pdf, (Eingesehen am: 20 Juli 2012).
[33] ebd.
[34] Eine Filmsequenz stellt - durch das Bahnhofsschild „Stainach-Irdning“ lokalisiert - die Gebiete der Landgenossenschaft Ennstal dar, die der WIMO angeschlossen war und in Stainach, Gröbming und Trofaiach eigene Käsereien und Buttereien betrieb.
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